Wenn es komplex wird: UX-Management für Hard- und Software #experiencecampfire

Hardware, Software und eine nahtlose User Experience? Klingt herausfordernd – und ist es auch. Im aktuellen Experience Campfire hatte ich das Vergnügen, mit Fabian Lang zu sprechen, einem erfahrenen UX-Manager bei Siemens e-Mobility. Gemeinsam tauchten wir in die Welt des UX-Managements für Ladestationen und digitale Anwendungen für deren Betrieb und Management ein.

Fabian ist für die User Experience in einem hochspannenden Umfeld verantwortlich: Siemens eMobility entwickelt Ladestationen für Elektrofahrzeuge – von kleinen Wallboxen für Unternehmensflotten bis hin zu großen High-Power-Chargern an Autobahnen oder in Busdepots. Die Produkte sind komplex, nicht nur technisch, sondern auch aus UX-Sicht.

Die Herausforderung: Hardware- und Software-Teams zusammenbringen

Ladesäulen bestehen aus mehr als einem schicken Gehäuse: Software für Flottenmanagement, Firmware für die Steuerung der Hardware und das physische Produkt müssen Hand in Hand gehen. Fabian beschreibt es treffend:

Dabei ist es eine besondere Herausforderung, Hard- und Software wegen der unterschiedlichen Entwicklungszyklen zusammenzubringen. Die Hardwareentwicklungszyklen sind lang und von physischen Rahmenbedingungen geprägt. Software hingegen lässt sich schneller anpassen und verbessern.

Bei Siemens eMobility arbeiten unterschiedliche Entwicklungsteams an Hardware, Firmware und Software. Das UX-Team sowie das UX-Management agieren übergreifend mit allen drei Teamarten zusammen. Sie bilden dadurch eine Art Brücke zwischen Hard- und Software und sorgen dafür, dass eine nahtlose UX entsteht. 

Ein wiederkehrendes Thema im Gespräch war die interne Zusammenarbeit zwischen UX, Software-, Firmware- und Hardwareteams. Fabian betont, wie entscheidend es ist, früh alle Beteiligten an einen Tisch zu holen.

Dafür nutzt Siemens verstärkt Customer Journey Mapping. Das hilft nicht nur, Prozesse zu visualisieren, sondern auch technische Stolpersteine früh zu erkennen. So kann das UX-Team frühzeitig allen beteiligten Organisationseinheiten zusammenbringen – vom Hardware- über das Software- bis zum Service-Team. Durch das gemeinsame Arbeiten an Journeys wird sichtbar, wo Schnittstellen liegen und wie man potenzielle Probleme schon im Konzept vermeiden kann.

Journeys für Hard-, Firm- und Software

Eine Frage, die ich Fabian im Experience Campfire aufgrund der regen Diskussion nicht mehr stellen konnte, mich aber sehr interessiert, ist: Wie gelingt es Euch über die gesamte Journey und alle Touchpoints – egal ob Hard-, Firm- oder Software ein konsistentes Nutzungs- und Markenerlebnis sicherzustellen? Nutzt ihr dafür eine spezielle Form von Journeys?

Fabians Antwort: Wir nutzen keine spezielle Form von Journeys. Ich glaube an Kohärenz vor Konsistenz – Es muss zwar erkennbar sein, dass Nutzende sich in einem Siemens-Ökosystem bewegen. Im Vordergrund steht aber jederzeit der Kontext der aktuellen Aufgabe. Das Interface eines Chargers, der allen Witterungsbedingungen ausgesetzt ist, wird so wenig wie möglich genutzt. Am liebsten Stecker rein und fertig. Interaktion findet häufig nur flüchtig und aus der Ferne statt. Die gleichen Informationen auf dem Smartphone werden wesentlich intensiver genutzt, z.B. um eine Auswertung oder eine Abrechnung vorzubereiten.

Der UX-Design-Prozess: Von Interviews bis Cardboard-Prototyping

Wie entwickelt Siemens eMobility eine neue Ladestation? Fabian gab ein paar Einblicke in den Prozess:

  1. User & Tech Research: Am Anfang steht die Frage nach dem Bedarf und den technischen Möglichkeiten. In der Regel werden mit Interviews und Fokusgruppen mit verschiedenen Nutzergruppen die Bedürfnisse erhoben. Die Analyse der technischen Möglichkeiten spielt ebenso eine wichtige Rolle, da es laufend technische Fortschritte gibt. 
  2. Formfaktoren und Kontexte verstehen: Die kontextuellen Faktoren spielen für die Gestaltung der Hardware eine zentrale Rolle. Dabei geht es um Fragen, wie z.B. “Wie viel Platz gibt es am Rastplatz?” oder “Wie schwer darf das Ladekabel sein?”
  3. Prototyping: Mit Hilfe von Cardboard-Modelle bis hin zu 3D-Druckmodellen werden die Formfaktoren definiert und möglichst frühzeitig getestet.
  4. Engineering:  Wenn klar ist, wie die Ladestation aussehen soll, geht es an die technische Umsetzung. Eine wesentliche Herausforderung besteht hier darin, bei der techn. Umsetzung mögliche zukünftige technologische Fortschritte zu berücksichtigen.

Nach der Gestaltung und techn. Konzeption der Hardware, geht es an die Konzeption, Gestaltung und Umsetzung von Apps und Software-Produkten.

Wie überzeugt man Skeptiker:innen vom Nutzen von UX-Research?

Eine Teilnehmerin fragte, wie man Teams, die bislang wenig Erfahrung mit UX hatten, von der Bedeutung von Tests und Nutzerforschung überzeugt. Gerade in der Hardwareentwicklung gäbe es ja häufig Vorbehalte gegenüber frühen Prototypentests.

Bei Siemens eMobility haben die Produktentwicklungsteams den Nutzen von UX-Research schnell durch praktisches Ausprobieren gesehen. Daher waren die Team von Anfang an offen für UX-Research. Ein wichtiger Faktor war dabei: Den „Schmerz“ erlebbar machen. Wenn Entwickler:innen beispielsweise selbst erleben, wie umständlich ein Kabelmanagement sein kann, steigt das Verständnis für den Nutzen von UX-Tests.

Gibt es genug UX-Designer:innen mit Hardware-Know-how?

In der Diskussion kam die Frage auf, ob es heutzutage überhaupt genug UX-Designer:innen gibt, die sich mit der Gestaltung von Hardware auskennen. Schließlich sei das Thema im Vergleich zu digitalen Anwendungen weniger präsent.

Die Disziplin Produktdesign oder Industriedesign (Industrial Design) beschäftigt sich schon seit über 100 Jahren mit der Gestaltung von Konsum- und Investitionsgütern. Mittlerweile ist es an vielen Hochschulen zu beobachten, dass fachliche Elemente aus dem UX-Design in Industriegestaltung integriert werden. Fabian rät UX-Designer:innen, die sich mehr mit der Gestaltung von Hardware beschäftigen wollen, eng mit Industriedesignern zusammenzuarbeiten. Die so entstehende Kombination aus ergonomischen sowie produktgestalterischem Fachwissen hat einen positiven Einfluss auf das Endergebnis.

Was UX-Designer:innen für die Gestaltung von Hardware lernen sollten

Zum Abschluss des Campfires sprachen wir darüber, was UX-Designer:innen beachten müssen, wenn sie in den Hardware-Bereich einsteigen wollen. Fabians Rat:

  • Technische Regularien verstehen: In der Hardware-Welt gibt es Normen, die das Design beeinflussen – von Steckhöhen bis zu Lichtintensitäten.
  • Kontextbezogen denken: Anders als bei reiner Software spielen physische Faktoren wie Gewicht, Material, Platzbedarf oder Witterungseinflüsse eine größere Rolle.
  • Szenarien durchspielen: Der Einsatz von Cardboard-Prototypen hilft, typische Nutzungskontexte zu simulieren und UX-Probleme frühzeitig zu erkennen.

Ein Tipp von Fabian: „Braun-Produkte sind eine perfekte Inspirationsquelle.“ Die klare Gestaltung von Dieter Rams sei ein Paradebeispiel für Produktgestaltung mit einer guten UX.

Danke

Ein herzliches Dankeschön an Fabian Lang für die spannenden Einblicke, an alle Teilnehmenden für die engagierte Diskussion und natürlich an cxomni für die Unterstützung dieses Campfires.

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